Wenn es um Technik ging, hatte Apple-Mitbegründer Steve Jobs eine klare Vision: Sie musste einfach, minimalistisch und elegant sein. Dieser Sinn für Ästhetik entwickelte sich schon früh und wurde stark von japanischer Kunst beeinflusst – insbesondere von den modernen Holzschnitten (Shin-Hanga), von Kawase Hasui.
Jobs kam bereits als Teenager zum ersten Mal mit Kawases Arbeiten in Berührung. Er besuchte damals oft das Haus der Familie seines engen Freundes Bill Fernandez, der später der erste Vollzeitmitarbeiter von Apple werden sollte. In dem Haus der Familie Fernandez hingen eine Reihe von Shin-Hanga-Drucken an den Wänden. Er war besonders von den drei Werken von Kawase im Wohnzimmer angetan.
„Er mochte Hasui über alles“, sagte Bambi Fernandez, Bills Mutter, dem japanischen TV-Sender NHK. „Er stand vor ihnen und schaute sie fast jedes Mal an, wenn er vorbeikam. Es war so offensichtlich, dass er sich zu ihnen hingezogen fühlte.“
Sein Favorit, sagt sie, war „Senju waterfall, Akame“, das einen Baum darstellt, der vor einem Wasserfall hängt. Kawase wählte für den Druck einen minimalistischen Stil und verzichtete auf komplizierte Details zugunsten einer bescheidenen Dynamik. So spielen sich die bunten Blätter des Baumes nicht auf der Wasseroberfläche wider. Bill Fernandez glaubt, dass diese zurückhaltende Ästhetik eine Quelle großer Inspiration für Jobs war.
„Man kann seine Liebe zur Einfachheit und Eleganz in seinem ganzen Leben sehen, wie in den Produkten, die er bei Apple entwickelte“, sagte Fernandez dem Sender NHK.
Die Shin-Hanga-Bewegung begann im frühen 20. Jahrhundert als ein inländischer Versuch, die Ukiyo-e-Tradition des Holzschnitts und der Malerei wiederzubeleben. Aber erst in Übersee erfuhren diese Werke, die meist japanische Landschaften und Szenen aus dem Leben der Menschen darstellen, große Popularität. Kawase wird als einer der drei Großen des Genres angesehen, zusammen mit Katsushika Hokusai und Utagawa Hiroshige.
Watanabe Shoichiro, ein bedeutender Shin-Hanga-Verleger, sagte, was den Stil auszeichnet, ist die Subtilität der Farben und Details. Dies erfordert exquisite technische Fähigkeiten, und deshalb dauert die Herstellung der Werke viel länger. Die Herstellung von Shin-Hanga-Gemälden kann fünfmal so lange dauern wie die von Ukiyo-e. Watanabe glaubt, dass es das ist, was Jobs zu diesem Stil hingezogen hat.
„Ich denke, Shin-Hanga spricht Menschen wie Steve Jobs an, Menschen, die versuchen, mit Spitzentechnologie innovativ zu sein“, sagte Watanabe. „Sie sehen das Blut, den Schweiß und die Tränen hinter jedem Bild. Ich denke, Steve schätzte Shin-Hanga.“
Steve Jobs wurde ein Shin-Hanga-Sammler und kaufte 25 Kawase-Grafiken im Laufe von zwei Jahrzehnten. Dabei folgte er aber nicht dem Mainstream-Geschmack: „Es gibt bestimmte Aspekte des Shin-Hanga, die bei Ausländern beliebt sind, wie verschneite Szenen, Torii-Tore, Schreine und Frauen mit Regenschirmen“, sagte Nishiyama Junko, eine Kuratorin am Chiba City Museum of Art. „Aber Steve Jobs sammelte keine solchen Stücke. Er mochte Hasui. Und Hasui mochte vor allem stille Dinge. Es scheint, dass diese beiden Männer genau den gleichen ästhetischen Geschmack hatten.“
Matsuoka Haruo, ein Kunsthändler in der Galerie Kabutoya in Tokios noblem Ginza-Viertel, half Jobs beim Kauf von Shin-Hanga-Drucken. Jobs besuchte die Galerie zum ersten Mal im März 1983, als er noch Ende 20 war, bekleidet mit einem T-Shirt und Jeans. Er bat Matsuoka, ihn über Shin-Hanga zu unterrichten, da er unbedingt mit dem Sammeln beginnen wollte
Steve Jobs‘ ästhetischer Sinn
Matsuoka sagte, dass Jobs jedes Stück sorgfältig untersucht hat, sich aber schnell entschied, welches er kaufen wollte.
„Jobs schien eine Vorliebe für einfache, anspruchsvolle Werke zu haben“, sagte er. „Er wusste genau, was er wollte. Normalerweise treffen Kunden ihre Entscheidungen nach Rücksprache mit dem Personal, aber bei Jobs war es das Gegenteil.“
Bei dieser Schnellschuss-Methode kaufte Jobs normalerweise nur Bilder, die im Hinterzimmer der Galerie vorrätig waren. Die Mitarbeiter brachten ihm die verfügbaren Bilder und er suchte sich aus der Auswahl das aus, was ihm gefiel. Aber Matsuoka erinnert sich an einen Tag, an dem er in der Galerie auftauchte und nach einem ganz bestimmten Werk fragte: Kasawes „Roter Sonnenuntergang“.
Der „Rote Sonnenuntergang“ wurde 1937, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, fertiggestellt und zeigt die Silhouetten von Soldaten auf Pferden, die sich auffällig von einem roten Himmel abheben. Es markiert einen scharfen Bruch mit Kawases üblichem Stil. Matsuoka sagt, Jobs habe nicht erklärt, warum er das Bild haben wollte. Die Galerie hatte es nicht und musste es für ihn finden.
Das letzte Mal, dass Matsuoka von Jobs hörte, war im Herbst 2003. Zu diesem Zeitpunkt hatte Matsuoka die Ginza-Galerie verlassen und sich auf eigene Faust auf den Weg gemacht. Eines Tages erhielt er eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter seiner Galerie. „Hi, Haru, hier ist Steve Jobs.“ Über zwei Jahrzehnte hinweg kaufte Jobs mindestens 43 Shin-Hanga-Stücke über Matsuoka; 25 davon waren Werke von Kawase.
Jobs starb 2011 im Alter von 56 Jahren. Seine Tochter, Lisa Brennan-Jobs, erzählt in ihren Memoiren „Small Fry“ von den letzten Tagen ihres Vaters. Sie beschreibt das Zimmer, in dem ihr Vater im Bett lag:
„Es gab gerahmte Drucke von Hasui von Dämmerung und Sonnenuntergang an den Tempeln. An der Wand neben ihm erstreckte sich ein rosa Lichtfleck.“
Quellen:
„The beginning of Steve Jobs‘ lifelong love of shin-hanga“ von Saeki Kentaro (NHK)